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PASSENGERS


04.06.–27.08.2016

Nevin Aladag – Christina Dimitriadis – Kalle Hamm & Dzamil Kamanger – Daniel Knorr – Riikka Kuoppala & Julia Kuprina – Robert Lucander – Jonathan Monk – Anna Retulainen – Jani Ruscica – Nasan Tur

in Kooperation mit dem Finnland-Institut in Deutschland, kuratiert von Christine Nippe

Eröffnung: Samstag, 4. Juni 2016, 18 -21 Uhr, mit einer Performance von Dzamil Kamanger 

Art in Motion
Podiumsdiskussion mit Christina Dimitriadis, Kalle Hamm, Dzamil Kamanger und Dr. Christine Nippe 
Montag, 4. Juli 2016, 18 – 20 Uhr

Ausstellungsansichten PASSENGERS 

Künstlerinnen und Künstler sind durch ihre Migration und Mobilität im Sinne des gleichnamigen Iggy-Pop-Songs ständig in Bewegung und damit nicht selten an der Produktion des Transnationalen beteiligt. Durch Netzwerke, Bewegung und Alltagspraxen entsteht ein neuer transnationaler Raum, diesen gilt es zu entdecken. Die Verschränktheit zahlreicher Stationen in ihrer Biographie verweist auf veränderte Lokalitäten im globalisierten Kunstbetrieb. Durch ihre Mobilität verbinden sie vormals getrennte Stationen, sie knüpfen grenzüberschreitende Netzwerke und produzieren ihre Kunst jenseits eines national festgelegten Ortes. Sie fühlen sich von unterschiedlichen Städten angezogen, haben oftmals ein anderes Verständnis von Zuhause und entwickeln Bedeutung im Dazwischen. Die Ausstellung Passengers möchte neue Perspektiven zum Thema Mobilität entwickeln. Fragen, die dadurch an Relevanz gewinnen, lauten: Wie verändern sich ihre Wahrnehmung und damit auch ihre künstlerische Praxis durch Mobilität und Migration? Können Künstler_innen als kulturelle Übersetzer_innen agieren? Inwiefern leben sie in ihrem Alltag ein transnationales Leben und kreieren damit einen dritten Raum jenseits von nationalen kulturellen Praxen? Und schließlich: Was bedeuten diese Veränderungen für unsere kuratorische Praxis oder unser Verständnis von Kunstgeschichte jenseits nationalstaatlicher Zuordnungen?

Nevin Aladag
Mit Pattern Matching bringt Nevin Aladag die scheinbar ungleichen Themen – Basketball, den amerikanischen Sportexport und Orientteppiche, das bekannteste kommerzielle Produkt aus dem Nahen Osten – zusammen. Es handelt sich dabei um zwei sehr unterschiedliche kulturelle Ausdrucksformen, die über ihre Muster von Aladag miteinander vereint und ein transnationales Gewebe ergeben. So bestückt die Künstlerin ihre Teppiche mit einer dichten Collage aus Verzierungen, wobei sie die Linien und Farbfelder, die die Grenzen und Markierungen in einem Basketballspielfeld darstellen, berücksichtigt. Durch das Überlappen der Muster, welche unterschiedlichen semantischen Ordnungen angehören – westliches Spiel versus morgenländische Verzierung – erwirkt Aladag eine neue Bedeutung.

Christina Dimitriadis
In ihrer fotografischen Serie Island Hoping setzt sich die griechisch-deutsche Künstlerin Christina Dimitriadis mit Bild und Mythos des Mittelmeeres auseinander. Ihre Fotografien zeigen von der See umspülte Felsformationen, die durch ihre Schroffheit zwischen Hoffnung und Unwägbarkeit changieren. Die Bilder zeichnet eine ganz besondere Lichtgebung aus, die charakteristisch für Dimitriadis’ Fotografien sind. Es handelt sich um eine besondere, leicht dunstige Atmosphäre. Inspirationsquelle für diese Serie ist ein kleines schwarz-weißes Bild der Insel Helgoland, dem Ursprungsort von Dimitriadis Familien-Mythen und dem Beginn einer langen familiären Migrationsgeschichte, die schließlich in Griechenland und Deutschland mündete. Vergangenheit und Zukunft, Persönliches und Kollektives fließen ineinander und machen Island Hoping zu einem Hybrid aus Nord und Süd.

Kalle Hamm & Dzamil Kamanger
Seit 2000 arbeiten Kalle Hamm aus Finnland und sein Kollege Dzamil Kamanger aus dem iranischen Kurdistan zusammen. In ihren Arbeiten, erkunden das Künstlerduo Hamm und Kamanger kulturelle Interaktion und die globalen Bewegungen von Menschen, Gütern und Pflanzen. Ihre Themen reichen von importierten Kolonialwaren zu Narrationen von einem verlassenen iranischen Dorf. Mit den feingestickten Visa und Reisepässen aus Glasperlen erinnern sie in einer mobilen Welt der Globalisierung an die Restriktionen und Grenzen, die nach wie vor das Leben vieler Menschen auf ihrem Weg durch die Welt einschränken.

Daniel Knorr
Das Konzept von Daniel Knorrs Arbeit Welcome beschreibt die Punkte der Transformation unserer Gesellschaft: Tradition und Folklore sind durch die schwarz-weißen Matrjoska Puppen dargestellt. Sie werden erneuert und aufgewertet durch die bunte Puppe, die Willkommene (the welcome one). Es ist die Puppe, welche die Transformation markiert und uns die Zukunft einer pluralistischen Gesellschaft zeigt, die sich ständig bewegt und verformt. Gleichzeitig markiert die bunte Puppe erst den Beginn dieser Zukunftsvision, denn sie ist alleinige Stimme eines „Anderen“ und der Besucher ist eingeladen, diesen visuellen Diskurs in die Gesellschaft hineinzutragen.

Riikka Kuoppala & Julia Kuprina
Helsinki-Kushyrgy ist eine kollaborative Videoinstallation von Riikka Kuoppala, einer finnischen Künstlerin, und Julia Kuprina, einer Aktivistin aus der Republik Mari El in Russland. Die Installation besteht aus zwei kurzen Dokumentarfilmen, die die beiden in Mari El 2011 gedreht und mit Archivmaterial aus der Region während der Sowjetzeit kombiniert haben. The Hill Maris sind ein kleines finno-ugrisches indigenes Volk in der Mitte von Russland. Während ihrer Recherchen gab es Pläne, einen Damm in der Wolga zu bauen, um ein großes Kraftwerk in der nahe gelegenen Stadt Tscheboksary zu erweitern. Das Wasser stand so hoch, sodass mehrere Hill Mari Dörfer zu sinken drohten. Kuoppala und Kuprina entschieden in ihrer Installation, ihre unterschiedlichen, manchmal widersprüchliche Standpunkte sichtbar zu machen: Kuprinas Film erzählt von einer Reise in ihr Heimatdorf und über die Geschichte eines Amateurfilmstudios, während Kuoppala politische Fragen zur Zukunft der Region betont und ihre eigene Rolle als Außenseiterin reflektiert.

Robert Lucander
Auch Robert Lucanders Biografie ist durch zahlreiche internationale Bezüge geprägt. Seine Mutter stammte aus Finnland. Sie wurde als Kleinkind ohne Sprachkenntnisse während der sowjetisch-finnischen Kriege (zwischen 1939 und 1944) nach Schweden verschickt. Eine ähnliche Fremdheitserfahrung machte Robert Lucander später wiederum in Helsinki, wo er aufwuchs: „Ich musste nur meinen Namen in Finnland sagen und die Anderen wussten, dass ich zur schwedischen Minderheit gehöre.“ Hier in Berlin, wo Lucander an der UdK unterrichtet, gilt er wiederum als Finne. Für Passengers hat er ein Porträt des finnischen Sängers Tapio Rautavaara ausgesucht. Seine Lieder erinnern ihn an seine Kindheit, als er zusammen mit seiner Mutter in der Küche Radio hörte und zeichnete. Musik ist für ihn das verbindende Element zwischen den unterschiedlichen Zeiten und Orten, sie kann Erinnerungen an die Ferne wachrufen und für einen Moment im Jetzt präsent machen.

Jonathan Monk
The World in Gay Pride Flags von Jonathan Monk ist Teil einer großen Serie von Weltkarten, die der Künstler vor etwa fünf Jahren begonnen hat. Während die erste seiner Arbeiten The World in Jeans and T-Shirts wie ein Selbstporträt zu lesen ist, da sie aus von ihm abgelegter Kleidung produziert wurde, verwendete er später international populäre Flaggenstoffe und widmete sich damit Fragen der Repräsentation und internationalen Symbolkraft. Die Regenbogenfahne steht dabei in vielen Kulturen als Zeichen der Toleranz und Vielfalt. Ob italienische Friedensbewegung von 1961 oder später und in veränderter Form für die Belange der Lesben- und Schwulenbewegung adaptiert, die Regenbogenfahne steht für freiheitliche Gedanken jenseits nationalstaatlicher Verortungen und für eine transnationale Bewegung.

Anna Retulainen
Die in Berlin lebende finnische Künstlerin Anna Retulainen hält ihre Spaziergänge an so unterschiedlichen Orten wie Berlin, Leipzig, Australien und Wien in ihren leuchtend expressiven Tuschezeichnungen fest. Wie ein Flaneur wandert sie dabei ohne konkretes Ziel durch die jeweiligen Lokalitäten: „Mein einziges Ziel ist, mich zu konzentrieren, mein Verständnis über die Stadt zu strukturieren und meinen eigenen Gedanken zu folgen. Ich male aus dem Gedächtnis. Meine Bilder sind Versuche zurückzukehren. In ihnen sind die Farben, Gesten und Rhythmen durch meine Erinnerungen gefiltert.“ Gehen und Beobachten, Erinnern und Malen verbinden sich in Anna Retulainens Kunst – es ensteht ein wahrlich translokales Gewebe.

Jani Ruscica
Jani Ruscica verbrachte seine frühe Kindheit in Italien. Nach dem Besuch einer Kunsthochschule in Savonlinna, Finnland, studierte er Bildhauerei und Bewegtbild in London und anschließend an der Finnischen Akademie der Schönen Künste. Diese verschiedenen Stationen und seine internationale Ausstellungserfahrung flossen in die Videoarbeit Scene Shifts in Six Movements ein: Sie entfaltet in sechs Sätzen eine Reise durch die historischen Schichten von verschiedenen Lokalitäten auf mehreren Kontinenten. Es ist jedoch in erster Linie eine geistige Reise. Die Orte, Bilder, Texte und Musik verweisen auf eine lange Geschichte der interkulturellen Brüche und Verständigungen, Unterschiede und Übersetzungsversuche.

Nasan Tur
Nasan Tur arbeitet in unterschiedlichen Medien, wie Performance, Video, Zeichnung oder Skulptur. Indem er Alltagsbeobachtungen aufgreift und uns in einer Geste der künstlerischen Aneignung neu vor Augen führt, löst er oftmals einen Moment des Schmunzelns oder der Überraschung aus. Für City says… bewegte sich der Künstler durch urbane Orte, lief Straßen und öffentliche Plätze ab, um ihre Worte behutsam aufzulesen und in seine Kunst einfließen zu lassen. Er sammelte die lesbaren Schriftzüge auf den Mauern von verschiedenen Metropolen wie Istanbul, Bukarest oder Berlin, um diese in seinen Radierungen übereinander und in Schichten zu reproduzieren. Entstanden ist ein dichtes Netz aus Botschaften, die gemeinsam nicht nur die Bewegung des Künstlers zwischen diesen unterschiedlichen Kontexten, sondern auch die Poesie der Straße transportiert.