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WINDOWS INTO EXILE: Brandon Lipchik


Images: Nick Ash © Brandon Lipchick, 2019

13.09.–20.10.2019
ERÖFFNUNG: 12.09.2019, 17–20 UHR

Öffnungszeiten: Samstags 12 – 18 Uhr und auf Anfrage
Temporary Showroom, erster Stock (Zugang über die Galerie Robert Grunenberg)

„Windows Into Exile“ ist die erste Einzelausstellung des New Yorker Malers Brandon Lipchik im deutschsprachigen Raum. Der Titel regt eine Konversation mit dem Roman „Exil in Capri“ von Roger Peyrefitte an. Der französische Schriftsteller, ein Pionier der Literatur über Homosexualität, erzählt die Geschichte der Geliebten Jacques Fersen und Nino Cesarini. Baron Fersen wählte nach Skandalen wegen Beziehungen zu Pariser Jünglingen die Insel Capri als Zufluchtsort für sich und seinen langjährigen Geliebten. Im selbstgewählten Exil auf der Insel führten sie ein exzentrisches Privatleben, das im Widerspruch zur italienischen Oberschicht des 20. Jahrhunderts stand. Sie lebten in den Gärten ihrer geliebten Villa Lysis, benannt nach dem platonischen Dialog über Freundschaft und homosexuelle Liebe. Von vielen Zeitgenossen wurden sie für derlei „Perversionen“ verurteilt.

Zur Vorbereitung der Ausstellung reiste Lipchik im Sommer 2019 für einige Wochen nach Capri, um queere Identität und sexuelle Freiheit im 21. Jahrhundert im Medium der Malerei weiterdenken zu können. Er ließ sich von der Landschaft, von Licht, Farben und Atmosphäre der italienischen Felseninsel im Golf von Neapel anregen, fertigte digitale Skizzen an, fotografierte mit seinem iPhone und entwickelte die Erfahrungen und Eindrücke in seinem temporären Studio in Berlin bildnerisch weiter.

Lipchick verbindet in den sieben Gemälden das Genre der Landschaftsmalerei mit dem Stillleben. Die Metapher im Ausstellungstitel vom Bild als einem Fenster reicht weit zurück in die Geschichte der Kunst. In seinem Theorietraktat über die Malerei (De pictura) aus dem Jahr 1435 beschreibt der italienische Humanist Leon Battista Alberti das Bild als offenes Fenster zur Welt. Lipchik öffnet das Fenster weit. Seine Bilder setzen sich zu einem Panorama zusammen, gleichzeitig vermittelt er das Gefühl, der Betrachter sei ein heimlicher Zaungast und live dabei, einen Blick in die Privatsphäre der Figuren zu erhaschen. Er stellt männliche Akte in den Raum, die der Betrachter wie ein Voyeur durch Zäune und minimal angedeutete Hecken in Form einzelner Blumen dabei beobachten kann, wie sie ihre Freizeit verbringen. Ihre Gesichter zeigt er bis auf zwei kleine Porträtbilder nicht, vielmehr bietet er angeschnittene Rückenansichten, Füße und Hände den neugierigen Blicken an. Ein Mann liegt am Pool, entspannt, genießt Landschaft und Licht, vielleicht wandert sein Blick hinüber zu dem Mann, der ihm den Rücken zuwendet. Ihre Freizeit verbringen sie mit Ballsport und Gartenarbeit.

Lipchik lässt beispielsweise leuchtende Tennisbälle, antikisierte Vasen und kühne Hammer scheinbar frei im Raum schweben, ihre Form ist seltsam verwackelt. Die Art der Darstellung ist Ergebnis seines Arbeitsprozesses, den Lipchik wie folgt erklärt: „Wenn ich an einem neuen Bild arbeite, fange ich mit einer digitalen Zeichnung an. Ich übertrage also eine digitale Zeichnung auf eine Leinwand, die wiederum auf Bildschirmen und im digitalen Raum erneut sichtbar wird. Die Verbreitung zum Beispiel über Instagram lässt eine großes Publikum überall auf der Welt teilhaben und idealerweise kommen sie in eine Galerie oder Messe und betrachten die Bilder im Raum. Für mich ist der Übersetzungsprozess von digitalen Kompositionen in die Malerei wichtig. Ich entdecke bei diesem Prozess völlig neue Möglichkeiten, mich einem alten Verfahren wie der Malerei zu nähern und kann Materialität und Farbigkeit auf der Leinwand neu denken. So kann ich die physischen und taktilen Eigenschaften der Malerei betonen und gleichzeitig einen Dialog zur Flächigkeit und zum Immateriellen des digitalen Raums herstellen.

Lipchik interessiert der Prozess der Verzerrung und Verfremdung eines Bildes, was im Digitalen und auf der Leinwand stattfinden kann. Hierbei verschleiert er eine pittoreske Szene wie die capresische Landschaft mit Liebenden, er collagiert mitunter bizarre und widersprüchliche Kompositionen. So führt Lipchik dem Betrachter männliche Rollenbilder und Ideen vom Paradies als festgefahrene Klischees vor Augen. Die Leinwand wird bei ihm wie bei Max Beckmann zur Bühne mit wiederkehrenden ambivalenten Motiven.

In fein verteilten hellen Farben collagiert er eine Ansammlung von Alltagsgegenständen und kunsthistorisch tradierten Motiven in der Fläche, als Kulisse dient ihm die Landschaft Capris. Er greift die Experimente von Giorgio Morandi mit Flächigkeit und Räumlichkeit auf, indem er einen Mix aus Konsumobjekten und Artefakten auf die Leinwand bringt. Es ergeben sich eigenwillige Farbklänge, Perspektiven und Zusammenstellungen, die klassische Genres wie Stillleben, Landschafts- und Porträtmalerei auf den Kopf stellen. Der auf den ersten Blick idyllische Capri-Traum verdüstert sich, es entsteht ein spannungsreiches Narrativ. Ähnlich wie bei den Poolbildern von David Hockney wird das vermeintlich heilsbringende Exil zu einem beklemmenden Ort. Wie bei Hockney ist das Idyll auf den zweiten Blick getrübt durch gestörte Beziehungen, Künstlichkeit und Einsamkeit.

Für Lipchik ist diese Herangehensweise der bildnerischen Verfremdung auch eine Möglichkeit einseitige Lesarten zu erweitern und auf die Vielseitigkeit der visuellen Gegenwartskultur zu reagieren. „Heutzutage ist es ein drastischer Akt, weiter zu malen. Wir werden ständig von Bildern in sozialen Netzwerken bombardiert, wir klicken uns von Video zu Foto, von Text zu Video, von privater Nachricht zu den Tagesthemen“, sagt Lipchik über seine Entscheidung für das Medium Malerei. Er überbrückt die Lücke zwischen dem digitalen Raum und dem Material, indem er mit einem Airbrush einen Trompel’œil-Effekt erzeugt. Mit der aufgesetzten Malschicht holt er das Gemälde noch weiter aus dem Galerieraum, wo die Bilder einen neuen, ganz eigenen Modus der Gegenwartsmalerei sichtbar machen.

Text von Anika Meier

Brandon Lipchik (*1993) ist ein amerikanischer Maler, geboren in Erie, Pennsylvania. Er studierte an der Rhode Island School of Design. Der Künstler lebt und arbeitet in Brooklyn, New York.

In Kooperation mit Robert Grunenberg